Was passiert eigentlich genau bei Stress in unserem Körper?

Warum wir uns bei Stress aufregen und wie wir uns wieder abreagieren können.

Wir alle haben schon unterschiedliche Erfahrungen mit Stress und unseren körperlichen Reaktionen darauf gemacht. Stress meint hier, ein Reiz von außen wie ein Geräusch, ein Konflikt oder eine Störung in meinem geplanten Ablauf. Der Mensch versucht dann durch seine Reaktion und möglicherweise eine Veränderung seines Verhaltens eine angemessene Antwort zu geben. Ziel ist dabei aus unserem jetzigen Blickwinkel eine gesunde Balance von Anspannung und Entspannung zu erreichen. Wenn uns das gut gelingt, ist das ein wichtiger Baustein zur Zufriedenheit.

Gelingt das nur schlecht oder über eine längere Dauer gar nicht, sind meist Unzufriedenheit und Gereiztsein die Folge. Das das kann am Ende bis zu Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen und zum derzeit viel diskutierten Burn-Out-Syndrom führen.

Um Ihnen die Abläufe der körperlichen Reaktionen etwas zu verdeutlichen, lehne ich mich an eine kleine Geschichte von meiner Kollegin Margit Gätjens-Reuter an, die ich vor Jahren im Internet fand und auf die wegen ihrer Plakativität immer wieder mal Bezug genommen wird:

Stellen Sie sich vor, einer unserer Urahnen liegt vor einigen Jahrtausenden entspannt an seinem Lagerfeuer und brät sich ein gefangenes Kaninchen. Da hört er es hinter sich knacken. Er blickt sich um und sieht einen riesigen Säbelzahntiger mit großem Appetit auf sich zukommen. Jetzt gerät unser tapferer Urahn umgehend in Stress. Kaum hat sein Gehirn die Gefahr registriert, aktiviert es eine „Programmfolge“; diese wird auch Stresskette genannt.

Dabei passiert folgendes:

angeregt vom Sympathikus-Nerv produzieren die Nebennieren Adrenalin und Noradrenalin (das sind Kampf- beziehungsweise Fluchthormone),

daraufhin schnellt der Puls hoch, der Blutdruck steigt,

Zucker und Fettreserven werden zu den Muskeln transportiert – „Sprit für Vollgasleistung“,

weitere Hormone wie zum Beispiel das Hydrocortison werden ausgeschüttet und es kommt zur

Unterbrechung der Verdauungsfunktionen und Senkung der Immunabwehr,

rote Blutkörperchen bringen verstärkt Sauerstoff in die Arterien,

die Blutgerinnungsfaktoren erhöhen sich, damit sich eventuelle Kampf – oder Fluchtwunden schneller schließen,

der Verstand wird – durch biochemische Vorgänge im Gehirn – blockiert.

Unser tapferer Vorfahre wird bei einer solchen Gelegenheit ähnliche Gefühle gehabt haben wie wir, wenn wir im Büro in Stress geraten – allerdings dürften seine etwas ausgeprägter gewesen sein.

Diese Stresskette hatte nur ein Ziel: das Lebewesen in allerhöchste Leistungsbereitschaft zu versetzen und blitzschnell reagieren zu lassen. Reagieren hieß für unseren Urahn: entweder kämpfen oder so schnell wie möglich verschwinden, und zwar ohne lange Überlegung – (daher „Blackout“ für logisches Denken).

Tatsächlich konnte er in solch einer Situation dann auch so schnell laufen, dass er wahrscheinlich mühelos jeden Weltrekord gebrochen hätte – sein Körper mobilisierte sämtliche Reserven, um zu überleben.

Während er aber um sein Leben rannte, passierte in seinem Körper etwas höchst Interessantes: Die „Stresshormone“ wurden samt ihren Konsequenzen wieder „abgebaut“, nach der Anstrengung folgte die Entspannung.

Er ist jetzt vielleicht nach seinem Lauf noch entspannter, als 5 Minuten vorher am Feuer in Erwartung des leckeren Festmahls.

Die Forschungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass wir in unseren Stressmustern und in der Regulierung von Stress schon früh geprägt wurden, das kann schon im Mutterleib beginnen. Also nicht nur der mütterliche Genuss von Tabak oder Alkohol hat – wie schon lange bekannt – Einfluss auf das Wohlergehen des Kindes im Bauch, sondern auch viel Stress der Mutter schlägt bis zum Kind durch. Neben der genetischen Veranlagung für Stressanfälligkeit gibt es also auch eine soziale. Als Baby oder Kleinkind ist es wichtig, ob es eine konstante und liebevolle Ansprache der Mutter oder anderer verlässlichen Bezugspersonen existiert. Eine gedeihliche und nährende Zuwendung, durch regelmäßige Nahrungszufuhr wie auch im übertragenen Sinn durch Anregung, Trost und Schutz sind die beste Früh-Prävention gegen Stress, die möglich ist. Eine tragfähige Beziehung und ein Gefühl sicheren Geborgen- und Gehaltenseins vom ersten Tag an tragen uns als ein wichtiger Stress-Verminderer durchs ganze Leben.

Durch gute Erfolge in der Stressverarbeitung, dem Erlernen einer effektiven Entspannungsmethode, guten Kommunikationsfähigkeiten und ein tragfähiges soziales Netz von Familien, Freunden und KollegInnen schützen uns als Erwachsene weiter gut gegen Stress von außen. Mentale Techniken schützen uns gegen inneren Stress wie zum Beispiel den so genannten inneren Antreibern. Das können solche tief eingeprägten Sätze sein wie: „Halte durch und zeige keine Schwächen“ oder „Du musst alles perfekt machen“. Denen werde ich mich in einem Rundbrief oder in meinem Blog später einmal widmen.

Zurück zu unserem Urahn: Zwischen seinem Kaninchen-grillen und dann später Wieder-ein-neues-Jagen gibt es vier Stadien (andere KollegInnen unterteilen nur in drei Stadien):

1) Die Alarmreaktion

2) Der Handlungsphase (Kampf- oder Fluchtmodus)

3) Die Nachreaktion

4) Die Erholungsphase

Schauen wir uns diese genauer an:

1) Die Alarmreaktion

Das Knacken bringt den Körper in eine erste Schrecksituation und schärft sofort unsere Sinne. Der Körper beginnt sein Leistungssystem – wie beschrieben – „anzuwerfen“. Sie kennen das von Katzen, die durch ein Geräusch aus dem Schlaf geweckt und sofort in Kampf- oder Fluchtposition gehen können. Wenn sie aber feststellen, dass es nur ihr Frauchen war, das den Futternapf zur Reinigung holt, können sie umgehend wieder entspannen und weiterschlafen. Wir als Menschen könnten an dieser Stelle auch so reagieren:
„Ach das ist der Typ aus der Nebenstrasse, der mir einmal in der Woche auf dem Weg zur Arbeit die Vorfahrt nimmt. Durch mein Bremsen ist nichts passiert, alles okay. Wo ist meine Lieblings-CD? Aufregen lohnt nicht.“
Oder – vielleicht kennen Sie das – anfangen rumzutoben: „Dieser Blödmann, seit 2 Jahren geht das jede Woche jetzt schon so. Dem sollte man den Führerschein wegnehmen. Nächste Woche zeige ich den an, usw.“ Und wenn sie sich dann die nächsten 10 Minuten bis zum Parkplatz ihres Büros noch weiter so hoch gekocht haben, dann sollte Ihnen besser kein/e KollegIn bis zur ersten Frühstückspause „blöde über den Weg laufen“.
Diese erste Schreckreaktion lässt sich kaum verhindern, eher unterscheiden wir Menschen uns in unserer individuellen „Schreckhaftigkeit“, der eine mehr, die andere weniger.

 2) Die Handlungsphase (Der Kampf- oder Fluchtmodus)

Der Körper stellt jetzt alles, was er an Leistung aufbringen kann, zur Verfügung. Hier verweise ich noch einmal für die körperlichen Vorgänge auf das genannte Beispiel. Der Körper ist „oben“, wie ein Formel-1 Auto mit Fahrer kurz vorm Start.

Dieser Vorgang geht sehr schnell, sekundenschnell. Und je nach Typ und Erfahrung mit Stress und Konflikten entscheidet sich, wie gut Sie jetzt und auf Dauer mit ihrem Stress umgehen. Der Urahn ist geflüchtet und hat die Stresshormone wieder abgelaufen. Wenn uns auf der Arbeit solche körperlichen Reaktionen möglich wären, würden wir sicher besser mit dem Stress klarkommen können. Entspannungs- und/oder mentale Techniken sind jetzt zusätzlich hilfreich.

Aber leider haben wir nicht nur einmal Stress am Tag, sondern manchmal oder auch öfters das Gefühl, uns begegnen mehrere Säbelzahntiger nacheinander und noch zwei Riesenbären und evtl. noch die kampfeslustige Vorhut des mit unserem Stamm verfeindeten Nachbarclans.

Dieser Vergleich mit unseren Urahnen ist zwar einerseits ganz vergnüglich und anschaulich. Aber er hat andererseits auch den tieferen Kern, dass wir mit unserem vegetativen Nervensystem in unseren Stressreaktionen fast genauso reagieren wie vor Tausenden von Jahren. Daran hat alle technischen Entwicklung nichts ändern können. Eher fordert uns diese Entwicklung immer mehr ab (Stichwort Multitasking) und ignoriert gnadenlos z.B. unser Bedürfnis nach nötigen Erholungspausen im Alltag und auch unsere anthroplogische Unfähigkeit, sich dieser Entwicklung anzupassen. Ich erlebe in meinen Seminaren immer wieder TeilnehmerInnen, die mit ihren Versuchen, diesen Stress zu regulieren, oft hilflos fühlen und überfordert sind. Wir sind für den heutigen vielseitigen Stress einfach nicht „gebaut“. Dass zum Beispiel das Multitasking auf Dauer eine Überforderung des Gehirns darstellt und zu einer erhöhten Fehlerquote bei den zu erledigenden Aufgaben führt, scheint seit einigen Jahren in der Fachdiskussion unstrittig zu sein.

Ein Beispiel zum hoch kochenden Stress in der Handlungsphase:

Stellen Sie sich vor, Sie liegen montags als Finanzbeamter mit ihrer Aktenplanung für die Woche einigermaßen gut in der Zeit. So können Sie am Freitag doch mit gutem Gefühl in den verdienten Urlaub aufbrechen. Da kommt der Chef vorbei und knallt Ihnen weitere 20 Fälle auf den Tisch, die sie wegen der Krankheits-Vertretung ihres ungeliebten (und eigentlich ziemlich faulen) Kollegen auch noch bis Freitag abarbeiten sollen. Alle Verweise auf den kommenden Urlaub und ihre Planung und die vielen eh schon vorhandenen Überstunden hilft nichts. Der Chef ist uneinsichtig und wird eher noch pampig, beide Seiten werden etwas lauter. Der Chef beharrt auf seiner Anweisung und rauscht davon. Und wenn Sie sich jetzt noch ihren Humor bewahrt haben, denken Sie vielleicht: „Wo ist der Säbelzahntiger, vor dem ich jetzt weglaufen kann, um all die eingeschossenen Hormone wieder zügig loszuwerden?“

Während in diesen Beispielen mit dem Chef oder dem Urahn, der Körper sofort auf 100% ist, kann sich das im Arbeitsalltag auch langsam steigern und in den Pausen wieder runter pendeln und danach wieder ansteigen. So werden sich Phasen von Anspannung und Entspannung mehrfach am Tag abwechseln.

 3) Die Nachreaktion

Nach Verschwinden des Stressors (Bär oder Chef sind weg) fährt das Stress-System mehr oder weniger wieder schnell runter, der Körper schaltet wieder zurück und resorbiert in seinem eigenen Tempo die eingeschossenen Stresshormone wieder. Das kann dauern und hängt von der Länge und Stärke der Kampf- und Fluchtreaktion und Ihrer persönlichen Vorgeschichte und ihren Kompetenzen und Erfahrungen in Bereich Stressregulation ab.

Ein vergleichbares Beispiel nur für die körperliche Reaktion, das Sie sicher aus eigener Erfahrung kennen: Sie sind von außerhalb 30 Minuten mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Obwohl Sie nicht mehr strampeln, schwitzt ihr Körper noch einige Zeit nach und braucht etwas, um wieder auf seinen Normalpegel runterzukommen. Da Sie sich dabei kaum innerlich aufgeregt haben dürften, gibt es für den Geist nichts runterzufahren, „nur“ der Körper muss sich wieder einpendeln.

In unserem Beispiel im Finanzamt könnte das heißen: Sie machen sich an die Arbeit, planen die Woche neu, packen noch vier neue Überstunden oben drauf und im Lauf des Tages reduziert sich ihr Stressniveau mit Hilfe von Kaffee, Ärgern, Grübeln und/oder mit der besten Kollegin telefonieren auch irgendwie wieder (etwas). Abends freuen Sie sich vielleicht auf ihre Joggingrunde, die nimmt dann hoffentlich auch noch den verblieben Stress-Rest raus.

Oder – im einem extremen Fall – sind Sie schon seit Wochen überdreht und fühlen sich nur noch urlaubsreif. Diese Szene gibt Ihnen nun den Rest. Der überzogene Körper ist fast entspannungsunfähig; nicht mehr stress-elastisch heißt das in der Fachsprache. Sie kommen von Ihrem Ärger auf den Chef und Ihren Kollegen nicht mehr runter. Die Grübelei nimmt kein Ende, abends fallen Sie mit einem Migräneanfall ins Bett und können kaum schlafen. Möglicherweise ist dieser so schlimm, dass sie sich im nächsten Fall krank melden und auch der Urlaub gefährdet scheint.

Die beiden zuletzt genannten Beispiele sollen aufzeigen: Stress wird sehr subjektiv empfunden und vor allem be- und verarbeitet. Während der/die eine dafür von Natur aus gut für aufgestellt ist, tut sich der/die Andere sehr schwer mit Gelassenheit.

Um ein Bild aus dem Tierreich als Analogie dafür heranzuziehen: Entweder sind Sie wie das bayerische Brauhaus-Zugwagenpferd mit den dicken Zotteln an den Beinen, das nichts aus der Ruhe bringt. Oder Sie sind wie ein arabischer Zuchthengst, immer unruhig umher tänzelnd, wie fiebrig auf den nächsten Startschuss wartend und schnell in Aufregung zu versetzen. Vielleicht liegen Sie irgendwo auf der Achse zwischen diesen beiden polarisierenden Beschreibungen. Wichtig ist für mich: Sie können an Ihrem Stressmanagement arbeiten: Sowohl versuchen, sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Richtung eines guten betrieblichen Gesundheitsmanagements einsetzen, wie auch an Ihren persönlichen Einstellungen und Verhaltensweisen arbeiten und/oder eine effektive Entspannungstechnik erlernen und für einen guten Ausgleich in Ihrer Freizeit sorgen (Stichwort Work-Life-Balance).

 4) Die Erholungsphase

In dieser Phase kann die Entspannung beginnen. Unser Urahn schläft erst einmal eine Weile und macht sich dann noch einmal auf die Jagd, um vielleicht ein neues Kaninchen zu finden.

Sie selbst beginnen in der heutigen Zeit diese Phase zum Beispiel nach einem durchschnittlichen Arbeitstag damit, daß Sie auf dem Heimweg mit dem Fahrrad ihre Arbeit Stück für Stuck hinter sich lassen. Sie können unterwegs den Kopf lüften und sich auf Ihren Feierabend freuen. Zu Hause angekommen, ist die Frage Ihres/r Partners/in: „Wie war dein Tag?“ schon mit einiger Gelassenheit zu beantworten. Bis zum nächsten Morgen können Sie sich mit Glück stressfrei in dieser Phase erholen, ihre Stresswaage ist gut ausbalanciert.

Das die Option Überstunden zu machen und dann noch Arbeit mit nach Hause zu nehmen für eine gute und ausreichend lange Erholungsphase äußerst abträglich ist, wissen Sie sicher selbst.

Zu jeder dieser Phasen lässt sich vieles ergänzen und dem werde ich in den kommenden Newslettern und im meinem bald online gehenden Blog auch widmen. Mir ging es heute darum, erst einmal ein paar Schneisen in das Thema zu schlagen mit dem Fokus auf die körperlichen Reaktionen und deren Regulation.

Mein Seminar

„Sicher und gelassen im Stress – Wege zur Burn-Out-Prophyaxe“

am 5./6.2013 Juli in Bonn behandelt genau dieses Thema und hilft Ihnen, ein gutes Stressmanagement für sich zu entwickeln. Hierbei geht es neben dem Erlernen einer Entspannungsmethode und theoretischen Erkenntnissen vor allem um den eigenen Umgang mit Stress und der individuellen Stressbewältigung. Viele gesetzlichen und Betriebskrankenkassen geben einen einen Zuschuss zu diesem Seminar. Die ausführliche Beschreibung sende ich Ihnen gerne auf Anfrage zu.