Die Kunst des Wartens – muss ich auch immer wieder lernen

Neulich hatte ich mich mit einem Freund zu einer Wanderung in der Eifel verabredet. Vom Bonner Bahnhof wollten wir mit dem Zug starten und nach der Wanderung von einem anderen Bahnhof wieder zurückfahren.

Und ich musste einige Zeit auf meinen Freund warten.

Ich hasse warten. Ich versuche selbst immer pünktlich zu sein und mag es nicht, mich zu verspäten.. Es mag ja Unterschiede geben, ob es um den Abflug eines Charterfliegers geht oder „nur“ um einen gemeinsamen Museumsbesuch.

Aber er kommt nicht… Minuten vergehen. Der Abfahrtstermin für unseren Zug rückt näher. Von ihm keine Spur. Ich spüre meinen Ärger aufsteigen.  Gedanken kommen hoch wie, „wären wir doch besser mit dem Auto angereist“. „Wann kommt denn der nächste Zug?“ „Ob er bis dahin wohl da ist…“   Auf dem Handy ist er nicht zu erreichen.  Und so weiter…

Der von meinem Vater von klein auf „ererbte“ Jähzorn beginnt sich langsam mit einem ersten Ärger zu zeigen.

Bis ich mich erinnere, mich doch in solchen Situationen nicht mehr aufregen zu wollen!

Habe ich damit doch bislang in meiner Familie schon viel unschöne Szenen herbeigeführt. Und mich manches Mal hinterher über mich selbst geärgert.

Und obwohl das scheinbar wie angeboren zu mir gehört, soll ich jetzt aufhören, mich zu ärgern? Warum denn, verdammt nochmal?

WEIL ES NICHTS BRINGT! 

Die Situation ändert es nicht, den Freund beamt es nicht herbei wie bei Star Treck und ich belaste nur unnötig mein Nervensystem, in dem ich meinen Sympahticus-Nerv auf Touren halte, anstatt entspannt und gelassen mit so einer Situation umzugehen. Als Trainer für verschiedene Entspannungsverfahren dürfte mir das ja wohl gelingen, oder?!

Ich wäre darüber hinaus auch in einem recht unleidlichen Zustand, wenn er mit Verspä-tung  kommt und … es gibt ja vielleicht einen guten Grund dafür.

Hoffentlich ist ihm – oder in seiner Familie – nichts passiert …

Und nach und nach beruhige ich mich, achte nur auf meinen Atem, lasse ihn immer langsamer ein- und ausfließen, verbinde mich vor meinem inneren Auge mit eingeübten Wohlfüllorten.

Meinem Freund kann ich dann immer noch meinen Ärger mitteilen, WENN er da ist.  Ärger lässt sich ja auch bei Bedarf wieder „hoch holen“.  Falls ich das dann überhaupt noch will.

Oder ich sollte irgendwann die Realität anzuerkennen und nicht weiter warten, sondern gehen.

Vielleicht alleine zu der geplanten Wanderung aufbrechen.  Einen Tag alleine im Wald, das würde mir gut tun.

Die Kunst beim Warten besteht darin, den Fokus von der Person oder dem Ereignis, auf die oder das man wartet, auf etwas anderes zu legen. Sich also unabhängig(er) zu machen.

Und während ich immer mehr zur Ruhe komme, merke ich, was es auf einem Bahnhof alles zu entdecken gibt.  Hier und jetzt im Augenblick.

  • Die Tauben, die trotz der vielen Hindernisse unterm Hallendach, die sie vom Verweilen und Bahnhof-voll-kacken abhalten sollen, immer noch ein Plätzchen für sich finden.
  • Die Mutter, die liebevoll ihrem Kind die Wartezeit überbrücken hilft und ihm aus einem Bilderbuch vorliest.
  • Das Ein- und Aussteigen der Reisenden am Gleis gegenüber. Immer wieder sehe ich Müttern mit Kinderwagen, denen umgehend geholfen wird, den Wagen in oder aus dem Zug hinein oder heraus zu tragen.
  • Oder ein Schaffner, der geduldig und mit fortwährender guten Laune den vielen Reisenden ihre Fragen beantwortet.
  • Und ich schweife ab und erinnere mich daran, dass ich während der ersten Semester meines Soziologie-Studiums in Bonn in den 70er Jahren genau auf diesem Gleis, der englischen Queen Elisabeth zugewinkt habe, die auf Gleis 1 in ihren Sonderzug gestiegen war. Dann ging sie auf der von der Prominenz auf dem Gleis abgewandten Seite des Waggons zu ihrem Abteil und dabei trafen sich unsere Blicke.

Langsam versöhne ich mich mit „Zwangs“pause, mit dem „Zwangs“warten. Wirft es mich doch auch immer auf mich selbst zurück. Und gibt mir die einfache Wahl, sich – wie all die Jahre zu vor- aufzuregen oder das Beste, aus der Situation zu machen.

 

Und dann steht er unvermittelt vor mir.  Und kann erklären, warum er zu spät ist und ich ihn auch nicht auf dem Handy erreicht habe. Er hatte sein Handy am Abend zuvor bei Freunden liegen lassen.  Morgens hatte er dann länger zu Hause danach gesucht und konnte erst beruhigt aufbrechen, als er es bei den Freunden sicher aufgehoben wusste. Im alten abgelegten Notfall-Handy mit der PrePaid-Karte, das er jetzt bei sich hatte, war meine neue Handynummer nicht gespeichert. Welch einfache Erklärung.
Die 1. Runde im Einkehrhaus würde er gerne für mein langes Warten übernehmen.

Was lehrt uns das? Dinge gehen schief im Leben, immer wieder. Eine perfekte Welt oder Fehler oder Missgeschicke gibt’s nicht.

Wie ich damit umgehe, habe ich alleine in der Hand. Gelassen oder wie ein „HB-Männchen in die Luft gehen“. Das bringt nur nichts.

Vielleicht nutze ich die Chance darin zu sehen, wo meine Wunsch nach Fehlerlosigkeit herkommt oder meine Ungeduld.

Und warum ich manchmal auf solche Situationen  so schnell  mit – manchmal heftigen – ärgerlichen Reaktionen reagiere? Beruflich passiert mir das nie, da bin ich ganz in meiner Rolle! Es geht also.

Es lohnt, aus diesen Situationen zu lernen und in Zukunft gelassener zu reagieren.

Denn, es ist ja niemand gestorben, geschieden oder auch nur ein wenig krank. In ein paar Wochen ist der Vorfall längst vergessen.

Der nächste Zug in die Eifel kam dann 30 Minuten später und nahm uns mit. Es wurde dann noch ein richtig schöner Tag im Wald.

  • Wie gehen sie mit solchen Missgeschicken um?
  • Regen Sie sich „auch“ gerne auf?
  • Oder haben Sie schon buddhistische Gelassenheit in solchen Situationen entwickelt? Oder immer einen schöne Zen-Übung zur Hand?
  • Wie beschäftigen Sie sich, wenn Sie unerwartet warten müssen?
  • Ist es anders, wenn es nur 15 Minuten sind oder 2 Stunden? Zum Beispiel in der Einöde den Anschlusszug verpasst.
  • Oder wegen immer-wieder-zu-spät-kommen nur noch den unattraktivsten Sitz im Kino/Theater/Zirkus erwischt?

Wie immer freue ich mich auf Ihre und eure Rückmeldungen.
—————————–
Fotos: Uhr: Gellinger/pixabay, Wasserfall: SpencerWing/pixabay, Waldweg: slightly_different/pixabay

 

8 Gedanken zu „Die Kunst des Wartens – muss ich auch immer wieder lernen

  1. Lieber Winfried,
    gelassen umgehen mit Dingen, die man sowieso nicht ändern kann – weil sie ohnehin passieren werden. Ich glaube, es ist vor allem das Gefühl der Machtlosigkeit /Kontrollverlust, dass uns so aus dem Gleichgewicht bringt. Gerade in der heutigen Zeit schwer zu akzeptieren, dass manche Dinge und Situationen immer noch nicht von uns beherrscht werden können. Womit man sich abfinden muss. Ich finde, du hast das sehr gut beschrieben. Wenn man erst mal locker lässt, öffnet man den Blick für ganz andere Bereiche, die man vorher wegen Hetze, Stress und Panik nicht gesehen hat. Und dann ist man endlich am „Leben“ angekommen.
    Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass seit ich mein Leben komplett geändert, bz entschleunigt habe und nun Massagelehrer für Klangschalentherapie bin, sich meine Lebensqualität massiv gesteigert hat. Anlass war ein einschneidendes Erlebnis, über das ich im Nachhinein sehr dankbar bin.

    Auch, wenn ich dies nicht allen Menschen wünsche, wünsche ich ihnen dennoch etwas vergleichbares, um innerlich zur Ruhe zu kommen.

    Liebe Grüße von
    Gerald

    • Lieber Gerald,

      schönen Dank für Deinen Beitrag.
      Das Thema Macht-/Kontrollverlust ist ein sehr grosses. Das hast Du gut beschrieben. Wenn Menschen zu mir zu Gesprächen oder in Seminare kommen, ist das oft ein bedeutendes (Unter-)Thema: Das ganze Leben oder ein Teilbereich entgleitet Ihnen und sie versuchen zu halten oder suchen dann auch nach gangbaren Lösungen. Da ist ein verpasster Zug wie in meinem Beispiel ja eher im Bereich „peanuts“ zu suchen.

      Ein Krise, wie Du für Dich angedeutet hast, ist oft Anlass zur Veränderung und im Nachinein sogar ein Ereignis im Lebensrückblick, für das viele dankbar sind. Aber erst mit einigem Abstand, wenn sie weitgehend „durch“ sind. Und die mehr Gelassenheit und oft auch Demut mit sich bringt.

      Liebe Grüße

      Winfried

      P.S. Ich bin seit einigen Jahren auch Klangschalenpraktiker, wie passend.

  2. Lieber Winfried!
    Beim Lesen des Textes konnte ich auch etwas entspannen; der „Sound“ und die Bilder haben dazu beitragen.
    Und dann war ich überrascht, dass du so nah die Queen schon einmal gesehen hast und ihr zuwinken konntest.
    Herzliche Grüße aus Göttingen

    Ursula

  3. Lieber Winfried,

    schön, wieder einmal von dir zu lesen!
    Guter Text – versuche mich auch immer wieder im gelassenen Warten…
    dank Entspannungsmethoden und Achtsamkeitstraining gelingt es immer besser…

    Liebe Grüße
    Andrea

    • Liebe Andrea,
      ich freue mich auch, von Dir zu lesen.
      Da hat ja unsere gemeinsame Fortbildung damals vielleicht auch etwas zu beigetragen.
      Die Kaffeetasse für Dich bei Deinem nächsten Bonn-Besuch steht schon bereit…

      Herzliche Grüße
      Winfried

    • Lieber Roland,
      schönen Dank für Deine warmen Worte.
      Dein Video bringt das Thema „Warten und Nicht-Hadern“ gut auf den Punkt!

      Herzliche Grüße nach Heidelberg

      Winfried

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